13. 09. 2015 11:54 von Juma Kliebenstein (Kommentare: 0)
Manchmal gibt es einen Anstoß von außen. Es kann
beispielsweise sein, dass ich im Bus oder in der Bahn ein Gespräch zwischen
anderen Mitreisenden mitbekomme und einen Satz aufschnappe, der sich irgendwie
festsetzt. Oder ich sehe Menschen, die mir in irgendeiner Weise auffallen und
ich überlege mir, wie ihr Leben wohl aussieht. Deshalb trage ich stets ein
kleines Notizheft bei mir, um solche Gedanken festhalten zu können ...
zumindest nehme ich mir das immer vor. Praktisch sieht es so aus, dass ich
häufig ganz ohne Tasche losziehe oder das Notizheft vergesse oder einen Stift,
und dann leihe ich mir irgendwo einen Kugelschreiber und benutze als
Schreibpapier irgendetwas, das gerade entbehrlich ist: Die Rückseite eines
Fahrscheins, einen Geldschein oder, wenn nichts anderes da ist, auch mal meinen
Unterarm. Meist ist es aber auch so, dass die wirklich guten Ideen ohnehin nicht
in Vergessenheit geraten. Sie suchen sich einen Platz in meinem Gedächtnis und
richten sich dort ein. Manchmal dauert es lange, bis sie wieder hervorkommen,
manchmal drängen sie am gleichen Tag wieder ans Licht.
Und dann gibt es da noch die Anstöße aus dem Inneren. Dann taucht urplötzlich ein Kind in meinen Gedanken auf, das
mir seine Geschichte erzählen will. Ich sehe dieses Kind dann vor meinem
inneren Auge, es richtet sich bequem bei mir ein und wartet darauf, dass ich
ihm zuhöre. Das kann überall passieren: Nach dem Aufwachen, zum Beispiel, wenn
ich noch im Bett liege – so war es bei Martin, der Hauptfigur in „Der Tag, an
dem ich cool wurde“. Er saß in Gedanken auf meiner Bettdecke, zupfte mich am
Arm und sagte: Ich muss dir was erzählen. Ich stecke gerade in einer Rutsche
fest. Oh Mann, was soll ich bloß machen?“ Da war ich natürlich neugierig und habe
seine Geschichte aufgeschrieben. Es ist also so, als wäre die Geschichte
irgendwo in meinem Kopf schon vorhanden und zum richtigen Zeitpunkt erscheint
das entsprechende Kind in meinen Gedanken, um sie mir zu erzählen.
Bei meinem Debut „Tausche Schwester gegen Zimmer“ hatte ich
als erstes ein buntes Schild vor Augen, so eines, wie man sie häufig an
Gartenzäunen oder neben Klingelschildern findet. Darauf stand Familie Sonnenfeld und darunter war eine
Zeichnung von Kindern, Erwachsenen, Hunden und Katzen. Alles sah sehr bunt und
sehr fröhlich aus. Und während ich dieses Schild in Gedanken betrachtete, war
da auf einmal Lunas Stimme in meinem Kopf, die sagte: „Ich heiße Luna, bin zehn
Jahre alt und kann nicht schlafen.“ Das war im Urlaub in Südfrankreich, gleich
nach dem Aufwachen. Ich bin im Bett sitzen geblieben und habe noch vor dem
Frühstück die ersten dreißig Seiten geschrieben.
Ich weiß nie, in welcher Form die Ideen für mein nächstes
Buch zu mir kommen. Wichtig ist nur eins: Ich muss sie mit offenen Armen
aufnehmen und immer auf Empfang sein. Egal, ob sie sich letztendlich wieder
verflüchtigen oder ob aus ihnen ein ganzes Buch entsteht.